Einander freundlich begegnen ...

Sonntagsgedanken in der Böblinger Kreiszeitung am Samstag, 5. Juni 2021

Vielleicht war es naiv von mir, dass ich diesen kleinen Post auf Instagram absetzte. Für eine Organisation, der ich eigentlich zugetan bin. Jedenfalls lernte ich danach einiges über mich und meine Person: Ob ich als Kind auf dem Kopf gefallen sei, fragte jemand. Ich sei ein übler Rassist und zugleich ein Heuchler (der hatte wohl bei meinen Posts mal geschaut, „was ich für eine“ bin). Ich sei gegen andere Religionen und sowieso ein Menschenhasser. Und andere betonten, dass sie mit „Leuten wie mir“ nichts zu tun haben wollten. Ich wolle ja nur hetzen. Noch Wochen später gab es Kommentare.

So hatte ich mich noch gar nicht betrachtet und rieb mir wirklich die Augen, was diese fremden Leute mir so alles zutrauten und auch zumuteten. Da erlauben sich Menschen, die von mir nicht mehr als einen Satz kennen, ein Urteil über mich als Person und meine Meinungen. Wie schnell das gehen kann in den sozialen Medien, so ein Shitstorm. Ich war wirklich überrascht. Und wenn das bei meinem kleinen unbedeutenden Satz schon so ist, wie ist das dann bei größeren Statements und den wichtigen Themen der Zeit?

Jesus Christus hat in seiner größten Rede, der Bergpredigt, einmal gesagt: „Ihr sollt andere nicht verurteilen, damit Gott euch nicht verurteilt. Der Maßstab, den ihr an andere anlegt, wird auch für euch gelten. Du siehst den Splitter im Auge deines Gegenübers. Bemerkst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge?“ (Matthäus 7, 1-3)

Diese Aufforderung war sicherlich damals schon aktuell. Wie erst heute?! Wie schwer ist das heute zu vermitteln, dass es wichtig ist, einander stehenzulassen oder in ein freundliches, respektvolles Gespräch zu kommen statt etwas einfach rauszuhauen. Heute, wo es Volks-Sport geworden ist, hinter jeder Bemerkung gleich Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit und andere Feindlichkeiten zu entlarven. (Ich habe schon extra nicht die Übersetzung von Martin Luther aufgenommen, der vom „Bruder“ statt vom „Gegenüber“ spricht.)

Ich will heute dazu anregen, sich wieder freundlicher zu begegnen. Mit Respekt. Und mit dem Gedanken im Hinterkopf, auch meine Position könnte nicht richtig, nicht komplett, vielleicht sogar falsch sein. Den eigenen Balken sehe ich nicht so gut wie den Splitter beim anderen. Ein wenig Zurückhaltung kann da helfen. Und: Nicht einen ganzen Menschen als Person zu etikettieren wegen einer Bemerkung oder einer Meinung, die ich nicht teile. Das wäre in Jesu Sinn, der sich mit den unterschiedlichsten Leuten an einen Tisch setzte, über die zu seiner Zeit der Shitstorm herunterging. Sein Schwarz-Weiß-Denken bezog sich nur darauf, dass es Menschen hilft, sich von Gott geliebt zu wissen und sich an der Bibel zu orientieren. Das tat damals und auch heute vielen Menschen gut.

Ein friedliches Wochenende wünsche ich Ihnen allen!

Anne Oberkampf, Pastorin in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Böblingen